Segeln zwischen Algen und Austern: Belle Ile und Morbihan
Das Inselmeer der südlichen Bretagne und der Golf von Morbihan sind besonders reizvolle aber auch anspruchsvolle Segelgewässer. Das musste auch der Romanheld und Liveaboard Fabian Timpe im zweiten Band seiner Abenteuer, dem Yachtkrimi „Gefährliche Gezeiten“, herausfinden.
Die Show beginnt bei Hochwasser. Dann öffnen sich die Schleusentore zum Binnenhafen von Le Palais, und 40, 50 oder auch 60 Yachten drängen in einem fröhlichen und unbekümmerten Chaos in das schmale Hafenbecken hinein. Dazwischen flitzen die zwei Schlauchboote der Capitainerie umher und assistieren denjenigen beim Anlegen, die angesichts dieses Trubels beim Manövrieren in Schwierigkeiten geraten. Touristen tummeln sich entlang der Pier und genießen das kurzweilige Spektakel, und auch wir haben uns unter die schaulustigen Landratten gemischt – unser Boot bleibt lieber im Außenhafen an den Muringtonnen liegen. Fabian Timpe, der Yachtdetektiv aus dem Roman „Gefährliche Gezeiten“, segelt mit seiner „Melodia“ von den Azoren kommend gleich ganz an der Insel vorbei und in das Morbihan hinein.
Le Palais, Belle Ile. Foto: Alfred Lutz/Unsplash
Dabei verpasst er einiges! Belle Ile im Frühsommer ist wunderbar, wenn auch nicht gerade einsam. „Das ist noch gar nichts“, lacht der freundliche Hafenmeister, „im August kommt tout Paris hierher.“ Auch wenn das vielleicht etwas übertrieben ist, verstehen können wir es. Die Ile-anti-stress, so der Werbespruch der südbretonischen Gemeinde Morbihan, zu der neben der Belle Ile auch noch die nicht minder schönen Inseln Groix, Houat und Hoëdic gehören, hat auch uns in ihren Bann geschlagen. Schon bald verholen wir doch in den Hafen, und ein bald bevorstehendes Auslaufen ist nicht abzusehen. Lieber genießen wir die Ferienatmosphäre der Insel, strampeln auf gemieteten Velos die verschlungenen Küstenpfade entlang, von Bucht zu Bucht, von einem felsigen Kap zum nächsten und immer wieder durch zauberhaften Dörfer und endlose, duftende Wiesen und Felder. Und abends locken die zahlreichen, lebhaften Restaurants und Bars von Le Palais, so dass auch die Bordküche schon seit Tagen kalt bleibt.
Die "Nadeln" von Port Coton. Foto: Sébastien Ul/Unsplash
Besonders abwechslungsreich ist die Küste rund um die Insel, bizarre Felsen wie die schon von Claude Monet gemalten „Nadeln“ in der Nähe von Port Coton wechseln sich immer mal wieder mit feinen Sandstränden ab. Allerdings sind die Entfernungen über Land nicht ohne, zu Fuß wäre man wohl mehrere Tage unterwegs um einmal um die Insel zu wandern und auch per Fahrrad ist man eine gute halbe Stunde oder länger unterwegs, um beispielsweise vom Yachthafen in Le Palais aus an die Westküste nach Port Coton zu gelangen. Aber die Mühe wird durch die wirklich spektakuläre Szenerie hier durchaus belohnt. Und schließlich gibt es ja immer wieder die eine oder andere Bar am Wegesrand, in der man sich mit einem erfrischenden Kaltgetränkt vom anstrengenden Land“gang“ erholen kann…
Der Golf von Morbihan
Nur knapp 20 Seemeilen von Le Palais entfernt, jenseits der weiten und geschützten Bucht von Quiberon, liegt die schmale Einfahrt zum Golfe du Morbihan. Dieser „Binnensee“ hat es in sich. Auf etwa 50 Quadratmeilen liegen rund 60 Inseln verstreut, zwei davon - Arz und die Ile aux Moines - bewohnt, die Mehrzahl winzige, verlassene Eilande. Durch die Enge bei Port Navalo strömen die Gezeiten mit Macht hinein und alle sechs Stunden auch wieder hinaus, so dass die Tiden mit bis zu acht Knoten höhere Geschwindigkeiten erreichen als die vielen Segelyachten, die hier herum kreuzen. An einigen Stellen rauscht der Strom zischend dahin, an anderen Ecken erzeugt er schäumende Wirbel wie in einer auslaufenden Badewanne. So kommt es schon mal vor, dass die Segelboote seitwärts schneller von der Stelle kommen als vorwärts, wenn sie von solch einem Strudel gepackt werden. Und auch wir bekommen dieses Phänomen zu spüren, als wir, gegen die Ebbe einlaufend, trotz schönster Brise mit prallen Segeln und schäumender Bugwelle wie festgenagelt auf der Stelle bleiben. Das Einlaufen geschieht dann, wenn ich mich recht erinnere, über den Achtersteven treibend. Und natürlich erlebt auch Fabian Timpe die Tücken dieser Durchfahrt, beschrieben wird es im Buch ausführlich.
Niedrigwasser im Morbihan. Foto: Mylene Tremoyet/Unsplash
Das Timing ist hier eben entscheidend. Aber wir haben es ja nicht eilig, und von dem strömenden Wasser abgesehen ist es überall ruhig und geschützt. Also fällt der Anker, bis spätabends die Tide kentert und uns nun um so schneller in den nördlichen Teil dieser eigenartigen Meeresbucht hinein befördert. In der zunehmenden Dämmerung geht es in rasanter Fahrt an Austernbänken, verschwiegenen Eilanden und immer wieder verankerten Booten vorbei bis zur winzigen Ile d’Irus. Nur hundert Meter neben dem Ufer fällt unser Anker abermals, in eine nun geheimnisvoll schwarze See. Die Stille ist fast vollkommen, nur hin und wieder gluckst eine Welle, fiepst ein Seevogel. Das fischreiche Morbihan, so hören und sehen wir später, hat die an der französischen Atlantikküste größte Kolonie von Meeresvögeln: je nach Jahreszeit Austernfischer, Kormorane, Brandgänse, Flussuferläufer, Löffelreiher, Regenpfeifer, Fischreiher und etliche Möwenarten.
Auf der Ile aux Moines. Foto: Detlef Jens
Segelnd erforschen wir das Morbihan und laufen dabei den abgeschleusten Hafen von Vannes an, jener etwas zu sehr herausgeputzten, mittelalterlichen Stadt mit den vielen Fachwerkhäusern und der Stadtmauer. Einen anderen Tag geht es den idyllischen Fluss von Auray hinauf, bis hinein in die von Touristen überflutete und eher etwas enttäuschende Stadt - ein abgeschiedener Ankerplatz weiter flussab ist uns lieber. Ein Landausflug nach Carnac darf nicht fehlen, immerhin sind wir hier im Herzen des Landes der sagenhaften und mythenreichen Kelten. Die Menhire von Carnac wurden schon von Flaubert bestens beschrieben: „Das Feld von Carnac ist ein weiter Raum im flachen Lande, wo man elf Reihen schwarzer Steine sieht, die in symmetrischen Intervallen angeordnet sind, und in dem Maße, wie sie sich vom Meer entfernen, kleiner werden. Cambry behauptet, es seien viertausend, und Freminville hat zwölfhundert gezählt. Sicher ist, daß sie zahlreich sind.“
Das Morbihan bei Niedrigwasser bietet ein eigenartiges Bild. Wie fast überall entlang der Küsten der südlichen Bretagne erstreckt sich dann eine nasse, schwarz glänzende Mondlandschaft soweit man schauen kann. Felsen und Steine, übersät von Algen, die von emsigen Menschen eingesammelt werden. In triefenden Säcken wird der Seetang davon geschleppt. Früher wurden damit die Felder der Bauern gedüngt. Heute jedoch haben Medizin und Pharmaindustrie die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten der Algen wieder entdeckt, ebenso wie kreative Köche! Algenbäder der modernen Thalasso-Therapie wurden angeblich bereits im fünften Jahrhundert vom bretonischen König Nominoé geschätzt. In den Supermärkten kann man den Tang in getrockneter Form kaufen, um mit ihm Suppen und Saucen zu würzen und so, wie uns ein bretonischer Amateurkoch erklärt, den Geschmack des Meeres hervorzuheben.
Wir wandern ausgiebig über die zauberhafte Ile aux Moines, die auch in „Gefährliche Gezeiten“ der wichtigste Schauplatz ist. Hinauf in das kleine, freundliche Dorf, hinab zur kleinen Bootswerft, immer wieder zu dem einen oder anderen Strand – und genießen es, wie Fabian und Stephanie und Catherine im Buch, bei dem einen oder anderen Glas Wein in aller Entspanntheit das geschäftige Kommen und Gehen beim Fähranleger zu beobachten. Was für ein Leben!
Mehr darüber im spannenden, zweiten Fall vom Yachtdetektiv Fabian Timpe, „Gefährliche Gezeiten“.