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Ovni Jimmy Cornell Aventura Windpilot

Vom Winde gesteuert…

Erleben Windsteuersysteme heute eine Renaissance?


Ein genauer Blick hilft, die am Markt verfügbaren Steuersklaven näher kennenzulernen. Schon beim Tages- oder Küstensegeln erleichtern sie das Leben an Bord ganz ungemein und auf dem langen Törn gelten sie bei vielen Seglern als schlicht unverzichtbar.

Der Übervater aller Einhandsegler, Joshua Slocum, kam noch ohne Selbststeueranlage aus. Er hatte lediglich sein Besansegel über eine mehr oder weniger clevere Art mit dem Ruder verbunden. Den Verlust von Vortrieb durchs Vorsegel hat er gegen ein wenig Freiheit vom Rudergehen eingetauscht. Auch Rollo Gebhard gehörte zu den tapferen Seglern, die unter Segeln Umwege zu machen sich nicht scheuten, auf der ersten Solveig wurde das Vorsegel mit der Pinne verbunden.

Die Zeitrechnung der „eisernen Gustafs“ begann vor etwa 50 Jahren. Es war die Zeit, als in England und Frankreich eine quirlige Szene von verwegenen Seglern begann, mit ihren Schiffen große Reisen zu unternehmen. Segler wie Blondie Hasler, Francis Chichester, Eric Tabarly, Robin Knox-Johnston und viele andere. Es war die Zeit, in der Hochseerennen wie die Jester Challenge, das Ostar und das Golden Globe Race erfunden wurden. Autopiloten für Yachten gab es noch nicht, es waren die Windsteuersysteme, die zu jener Zeit „das Laufen gelernt“ haben. Mit dabei die noch heute am Markt wichtigen Mitspieler Aries, Hydrovane und Windpilot.

Die überwiegende Mehrzahl moderner Yachten fährt heute mit elektronischen Autopiloten zur See. Diese cleveren Maschinen sind technisch hoch entwickelt, sie verbrauchen nicht mehr zu viel Strom, auch sind einige von ihnen im Betrieb leiser geworden, die tollsten Geräte sind komplett in das elektronische Betriebssystem an Bord integriert. Dennoch steigt der Stromverbrauch mit der Schiffsgröße, zunehmendem Wind und Seegang und schlechtem Trimm.
Zu viel Segelfläche erzeugt Luvgierigkeit, was wiederum zu erhöhtem Gegenruder und damit einem Segeln mit angezogener Handbremse bei stark steigendem Stromverbrauch führt.

Die Zuverlässigkeit von Windsteuersystemen hat ihre Fangemeinde über Jahrzehnte wachsen lassen, was durchaus auch im Kontext zur Zuverlässigkeit von Autopiloten zu sehen ist. Viele Yachten sind, gerade für den langen Törn, mit doppelter Redundanz ausgerüstet: Eine Windsteueranlage kann sich die Arbeit am Ruder mit dem Autopiloten teilen und zumindest ein System ist als Backup vorhanden, sollte das andere auf See ausfallen.

  

Moderne Windselbststeueranlagen sind ausgetüftelte mechanische Gebilde, die allerdings insgesamt übersichtlich und leicht verständlich sind und simplen Regeln folgen. Mit den Kräften der Natur ein Schiff zu steuern ist schon verlockend, insbesondere in der heutigen Zeit.

Womit wir den Einstieg in eine grobe Kategorisierung moderner Windsteueranlagen gefunden haben. Wir unterscheiden drei Systemtypen: Hilfsruder-, Pendelruder- und Doppelrudersysteme.

Das Hilfsrudersystem ist eine selbstständige Steuereinheit und arbeitet ohne Leinenverbindung zum und unabhängig vom Hauptruder, das einfach festgesetzt wird. Läuft das Schiff aus dem Kurs, verdreht die Windfahne über ein Getriebe direkt die Achse des Hilfsruders und gibt solange Gegenruder, bis der Sollkurs wieder anliegt. Diese Anlagen haben den Vorteil, dass sie auch als Notruder eingesetzt werden können. Außerdem bleibt das Cockpit frei von störenden Leinen. Insbesondere bei Yachten mit Mittelcockpit, wo die Leinenverbindung von der Anlage zum Rad sehr lang wären, ist dies eine verlockende Alternative. Schon wegen der fehlenden Servokräfte (siehe weiter unten) muss die Windfahne hier eine gewisse Größe haben, was bei Yachten mit Besansegel problematisch sein kann. Zudem kann die Wirkung des Hilfsruders, dicht hinter oder neben einem Hauptruder, durch Turbulenzen beeinträchtigt werden. Eine Montage zu weit aus der Schiffsmitte führt zu unterschiedlicher Eintauchtiefe des Hilfsruders. Das Verhältnis der Flächen von Hauptruder zu Hilfsruder sollte die Proportion 3 zu 1 nicht übersteigen, weil andernfalls die Wirksamkeit des Hilfsruders verringert wird. Die „Hydrovane“ ist das bekannteste Hilfsrudersystem.

Pendelrudersysteme arbeiten mit dem Hauptruder, welches über eine Leinenverbindung zum Steuern verwendet wird. Die Windfahne verdreht über ein Getriebe ein schmales Ruderblatt, das an einer beweglichen, pendelnden Achse aufgehängt ist. Der lange Krafthebelarm des vorbeiströmenden Wassers erzeugt enorme Zugkräfte, die über die Leinen auf Pinne oder Rad übertragen werden. Bei diesem System liefert die Windfahne lediglich das Steuersignal, weshalb sie nicht allzu groß sein muss. Die prominenten Systeme bedienen sich sämtlich einer aufwendigen Getriebeuntersetzung von 2 zu 1, mit der ein Übersteuern ausgeschlossen wird. Andere verwenden eine einfache, so genannte Z-Bar in Form einer mehrfach um 90 Grad gewinkelten Schubstange, um eine gewisse Dämpfung zu erzielen.

Die prominenten Pendelrudersysteme:  Aries, Monitor, Windpilot Pacific und andere.

 

In gewisser Hinsicht vielleicht das Beste beider Welten ist das Doppelrudersystem „Pacific Plus“ von Windpilot. Die Windfahne gibt ihr Steuersignal an das Pendelruder, das seine Steuerkräfte auf ein eigenes Hilfsruder überträgt, ohne Leinen zum Hauptruder, das zum Trimm festgesetzt und auch als Notruder einsetzbar ist.

Die Wahl zwischen einer Pendelruderanlage und der Doppelruderanlage Windpilot Pacific Plus ist unabhängig von der Schiffsgröße. Wichtig ist einzig die Proportion zwischen den Flächen von Hauptruder und Hilfsruder. In aller Regel können mit Pendelrudersystemen auch wirklich große Schiffe gesteuert werden, weil über den langen Krafthebel eines Pendelruders auch gewaltige Hauptruder noch mühelos zu bewegen sind.

Für seine Pendelruderanlage bietet Windpilot zudem ein demontierbares Notruder an, welches beim Ausfall des Hauptruders in der Halterung der Windsteueranlage am Heck angebracht werden kann. Eine geniale, weil auch nahe liegende Idee.

Moderne Windsteueranlagen arbeiten zuverlässig und exakt, sofern das Schiff unter Segel gut getrimmt und ausbalanciert ist.

Allerdings hat ein Windsteuersystem keine Augen, um beispielsweise brechenden Seen auszuweichen. Ansonsten aber sind der Einsatzfähigkeit kaum Grenzen gesetzt. Allerdings: um zu funktionieren braucht eine Windsteueranlage, klar, Wind, und zwar möglichst konstanten Wind. Das Schiff muss außerdem auch zumindest etwas Fahrt durchs Wasser machen, aber sonst ist es ja sowieso nicht steuerbar. Eine oft verwendete Variante ist die Kombination eines Pinnenpiloten mit einer Windsteueranlage. Solch ein Autopilot, eigentlich für den Einsatz an einer Pinne gedacht, kann beispielsweise beim motoren bei Flaute, aber auch bei unsteten und schwierigen Windverhältnissen die Windfahne ersetzen. Dazu wird ein kleiner Pinnenpilot anstelle der Windfahne mit dem Halter der Windfahne verbunden und kann dort als Impulsgeber zur Kurskorrektur mit minimalem Stromverbrauch verwendet werden, um die gewaltigen Kräfte eines Pendelrudersystems zu aktivieren. Diese Synthese kann auch auf schnellen, leichten Schiffen in Gleitfahrt eingesetzt werden.

Eine Windfahnenanlage am Heck ist sicher nicht immer eine ästhetische Zierde. Allerdings sind das gewaltige Geräteträger voller Antennen, Davits, Wassergeneratoren, im Heckkorb festgeschraubter Außenborder auch nicht. Die Windfahne hingegen ist enorm praktisch, denn niemand steuert wohl gerne pausenlos: Für ein- oder zwei-Personencrews ist ein solches System eigentlich unverzichtbar. Es ist wie ein weiteres Crewmitglied, das Stunde um Stunde, Tagein und Tagaus, klaglos und konzentriert steuert, ohne Strom oder Nahrungsmittel zu benötigen! Und eine moderne Windsteueranlage ist gerade auch bei Tagestörns im heimischen Revier oder kurzen Passagen entlang der Küsten bestens geeignet, das Segeln noch ein wenig entspannter zu machen. Zwischendurch mal einen Kaffee kochen? Navigieren oder Logbuch schreiben? Fotografieren oder filmen? Wer nicht mehr ständig steuern muss, genießt das Leben unterwegs an Bord umso mehr. Garantiert!

 

Dies sind die gängigen Hersteller:

ARIES

HYDROVANE

SAILOMAT

SCANMAR

MISTER VEE

WINDPILOT

 

Text: Detlef Jens
Fotos: Detlef Jens und Peter Foerthmann

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